Mobilitätskarten als Vermittlungsversuche zwischen sozialen Welten
Jahr: 2019
Ziele/Ideen
Der Mobilitätsmarkt ist kein Markt wie jeder andere. Die Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Mobilitätsanbieter gestaltet sich schwierig. Mobilitätskarten sollen die Nutzung öffentlicher Mobilitätsangeboten erleichtern und ein Leben ohne Privatauto ermöglichen. Gemeint sind Kunststoffkarte im Scheckkartenformat, die oft einen Mikrochip tragen. Im Unterschied zu herkömmlichen Fahrkarten gelten sie nicht nur im öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) als Ticket, sondern sind auch Schlüssel zu Carsharing-Autos und Leihfahrrädern. Zudem geben sie Zugang zu Parkhäusern und Radabstellanlagen, erlauben den Entleih klassischer Mietfahrzeuge oder dienen als bargeldloses Bezahlmedium in Taxis. Meist gibt es jedoch keine Anbieter, die all diese Dienste aus einer Hand anbieten. Das macht Kooperationen erforderlich. Sehr unterschiedliche Akteure, wie kommunale Nahverkehrsbetriebe, mittelständische Carsharing-Anbieter und lokale Taxiunternehmen geben gemeinsame Kundenkarten heraus. Manche dieser Karten machen durchaus Schlagzeilen, z. B. die schweizerische züri mobil, die deutsche HANNOVERmobil oder die österreichische WienMobil. Doch insgesamt war keine der Karten, gemessen an ihrer Verbreitung, sonderlich erfolgreich: Selbst vierstellige Nutzerzahlen wurden lange Zeit kaum erreicht. Die etwas größere Verbreitung der letzten Jahre ist vor allem auf die Verbindung mit Abo-Karten des ÖPNV zurückzuführen, wohingegen ergänzenden Leistungen nach wie vor nur sehr schwer Nachfrager finden.
Kurzbeschreibung
Der Traum von einem Zugang zu allen Mobilitätsdiensten – gleich ob Bahn, Bus, Carsharing oder Leihrad – ist nicht neu. Schon vor über 20 Jahren grübelten Visionäre über die Mobilität aus einer Hand: Eine Anmeldung, eine Buchung, eine Abrechnung. Anbieterübergreifende Mobilitätskarten galten lange als Königsdisziplin unter den Kooperationen. Smartphone und Apps haben die Bestrebungen zur Vernetzung von Informationskanälen und Vertriebswegen neu entfacht. Doch integrierte Angebote öffentlich zugänglicher Mobilität sind noch immer selten? Warum ist das so? Die Studie betrachtet die Akteure hinter den Mobilitätskarten. Mithilfe von Interviews und Fallbeispielen zeigt sie die schwierigen Bedingungen der Zusammenarbeit zwischen den Anbietern. Als wesentliches Hemmnis identifiziert sie die Pflichten zur öffentlichen Daseinsvorsorge, die für einen Teil der Anbieter gilt, für andere hingegen nicht. Mit Mobilitätskarten wird versucht, diese Hürden dennoch zu überwinden.Resultate
Die Untersuchung erbrachte folgende Ergebnisse, die nachfolgend exemplarisch zusammengefasst werden:
Erstens beschränkt sich die Sicht der Kooperationspartner oft auf die Funktion der Karte für die jeweils eigene Dienstleistung. Viele Kartenanbieter eint kein umfassendes Geschäftsmodell, sondern der Bezug auf dasselbe Vertriebsmittel, das sie aber unterschiedlich in ihr jeweils spezifisches Kerngeschäft einbetten und für das sie weiterhin eigene Vertriebswege parallel anbieten. Mobilitätskarten sind vieles zugleich: Ticketträger, Zugangsmedium und Zahlungsmittel. Diese Multifunktionalität kann die Anbieter dazu verleiten, nur jene Funktion der Karte mitzugestalten, welche die eigene Leistung betrifft. Für den ÖPNV bleiben die Karten in erster Linie Fahrscheine, für die Carsharer Autoschlüssel, für die Parkhausbetreiber Schrankenöffner und für die Taxifahrer Geldkarten. Oft bleibt die Karte selbst das Einzige, was sie verbindet. Ein Kartenanbieter berichtete, die Kooperationspartner des Nahverkehrs und Bikesharing in drei Jahren nur einmal persönlich getroffen zu haben – auf der Pressekonferenz zum Kartenstart.
Zweitens kann die gemeinsame Karte zum Problem werden, wenn nicht mehr alle beteiligten Anbieter dieselbe Vertriebstechnik einsetzen. Zwar gilt im ÖPNV der Grundsatz der Barrierefreiheit, nach dem auch ältere Vertriebs- und Authentifizierungswege aufrecht zu erhalten sind. Doch Anbieter außerhalb des ÖPNV sind daran nicht gebunden. Zwar erfüllen Chipkarten viele Funktionen, doch die Umstellung auf neuere Medien wie das Smartphone, vollzieht sich bei vor allem im internationalen Bike- und Carsharing schneller als im ÖPNV. In einem Fall ließ sich der Carsharing-Anbieter nicht einbinden, da er gar kein physisches Zugangsmedium mehr einsetzt, sondern seine Fahrzeuge ausschließlich per Smartphone-App öffnen lässt.
Drittens bestehen für die Kartenanbieter kaum Anreize, die Leistungen den Erfordernissen der jeweiligen Kooperation anzupassen. Der ÖPNV hat kaum Veranlassung, mehr anzubieten, als in Ausschreibungen oder Nahverkehrsplänen festgelegt ist. Andere Mobilitätsdienstleister wechseln ihre Operationsgebiete hingegen entsprechend der Nachfrage. Eine Karte wurde nach nur einem Jahr eingestellt, da das beteiligte Carsharing – das ein wesentlicher Kaufanreiz war – den Standort aufgab und sich vollständig aus der Region zurückzog.