WIEN LEBT…auf der Wohnstraße
Jahr: 2019
Ziele/Ideen
In Wien gibt es derzeit ca. 179 Wohnstraßen – das entspricht einer Fläche von 56 internationalen Fußballfeldern. Ein immenses Potenzial für die Stadt und ihre Bewohnerinnen und Bewohner. Trotzdem werden Straßen – sowie auch die Wohnstraße – meist nur als Abstellplatz und Parkfläche für Autos genutzt. Wir finden: Da geht noch mehr! 2018 stellten wir uns erstmals die Frage „Was ist das Konzept der Wohnstraße? Wir haben z.B. gefragt, warum diese Wohnstraßen heutzutage nicht so genutzt werden, wie von den Initiatorinnen und Initiatoren vorgesehen und auch gesetzlich verankert ist. (siehe zB § 76b der österreichischen Straßenverkehrsordnung). Hier dürfen wir laut Gesetz und ohne weitere Erlaubnis zu jeder Tageszeit mitten auf der Wohnstraße spazieren. Wir könnten dort spielen – sogar (Fuß-) Ballspiele sind erlaubt. Wir können gegen die Einbahn Radfahren – und – soweit unsere Erfahrungen zeigen – Gegenstände wie Liegestühle auf der Straße platzieren, während man sich selbst dort aufhält. All das ist erlaubt, solange wir auf andere Nutzende der Wohnstraße Rücksicht nehmen und Autos nicht daran hindern in Schrittgeschwindigkeit zu einem Parkplatz zu- oder abzufahren. Und trotzdem, kaum jemand nutzt die Wohnstraße, welche als eine Art offenes Wohnzimmer für Anwohnerinnen und Anwohner, für die Nachbarschaft und andere Interessierte dienen könnte. Während viele Fragen nach einem Jahr WIEN LEBT…auf der Wohnstraße noch offen sind, zeigten unsere Wohnstraßen-Tests jedoch bereits, dass es nicht das Gesetz per se ist, dass den Anwohnerinnen und Anwohner die Nutzung ihrer Wohnstraße verwehrt, sondern es sind die Bewohnenden selbst, die nicht einmal daran denken, die Wohnstraße zu nutzen. Eine vorläufige Auswertung des empirischen Materials zeigt, dass die Wohnstraße aus mindestens vier zusammenhängenden Gründen nicht von BewohnerInnen genutzt wird. Es gibt entweder …
1. … keine Notwendigkeit für die Nutzung der Wohnstraße
2. und / oder mangelnde Informationen, wie man Wohnstraßen nutzen kann.
3. Die Wohnstraße lädt meistens nicht zum Verweilen ein und die Menschen fühlen sich nicht sicher.
4. Und vor allem sind die Menschen nicht daran gewöhnt, die Wohnstraße in Wien zu leben. Es herrscht keine Nutzungskultur.
Eltern sagten uns sie würden niemals in eine Wohnstraße gehen, um mit ihren Kindern dort zu spielen, solange es keine baulichen Veränderungen gibt, die sie schützen könnten. Die Wohnstraße bietet nicht genügend Komfort und Sicherheit – die Polizei sanktioniert kein Fehlverhalten seitens der Autofahrerinnen und Autofahrern bei zu schneller Durchfahrt. Warum aber auch, wenn sowieso niemand die Wohnstraße benutzt? Zudem ist das Auto ein Statussymbol – insbesondere bei der sogenannten „Migrantenbevölkerung“ und Parkplätze sind per se ein hochemotionales Thema jedes/r Bezirksvorsteherin und Bezirksvorstehers.
Wie wir herausfanden, zögern Bewohnerinnen und Bewohner auch, die Wohnstraße als solche zu nutzen, weil sie nicht ausreichend über Nutzungsmöglichkeiten informiert sind: In der Fahrschule erfährt man, dass eine Wohnstraße nicht durchfahren werden darf. Man erfährt jedoch nicht, was die Menschen dort tun dürfen. Wir selbst waren uns über die Regeln und Vorschriften nicht sicher, bevor wir mit diesem Projekt begonnen hatten. W24, ein lokaler Wiener Fernsehsender, hat uns im Mai 2018 interviewt und gesagt, es wäre eine Revolution, wenn man Wohnstraßen in Wien auch aktiv nutzen würde. In gewisser Weise käme das einer Sensation gleich – doch eigentlich wäre dies zu tun sehr einfach. Wie wir alle wissen, ist Kultur ein erlerntes Verhalten und kann daher verändert werden. Es ist ein erlerntes Verhalten, dass wir den öffentlichen Raum – sowie auch die Wohnstraße – auf die eine oder andere Weise nutzen. Daher rufen wir auch 2019 unter dem Motto: RAUS AUF DIE WOHNSTRASSE wieder dazu auf die Wohnstraßen zu erobern. Als selbsternannte „Rebellious Optimists“ wollen wir die verborgenen Werte der Wohnstraßen weiter erforschen, aufzeigen, fördern und deren alternative Nutzung den Menschen in der Stadt vorschlagen.
Kurzbeschreibung
Das Projekt „WIEN LEBT … auf der Wohnstraße“ ist eine Neuheit. Wir selbst – die seit zehn Jahren in der Stadtarbeit und kulturellen Raumgestaltung tätig sind, sind verwundert, warum wir nicht früher an die Aktivierung dieses legal nutzbaren öffentlichen sozialen Raumes gedacht haben. Hier können sich Menschen verschiedenen Alters und verschiedener sozialer und kultureller Herkunft zwanglos austauschen und bewegen. Unsere Wohnstraßentests zeigen, wie vielfältig dieser vergessene oder unterschätze Raum genutzt werden kann. 179 Wohnstraßen in Wien – ganze 56 internationale Fußballfelder können von jeder und jedem ohne zusätzliche Genehmigungen für sich und andere eingenommen werden – zum Kaffee-Trinken, Plaudern, Spielen, Sporteln und Ideen-Spinnen. Ein bisher ungenutzter sozialer Raum will demokratisch verhandelt werden. Jede Wohnstraße kann eine Oase für sich werden – ein geteiltes öffentliches Wohnzimmer vor der eigenen Haustüre.
Resultate
Das Projekt wurde in einem ersten Testlauf im Jahr 2018 im Fokusgebiet des 15. und 16. Wiener Gemeindebezirks realisiert und wird im Jahr 2019 auf weitere Regionen ausgeweitet. Je nach Finanzierungsmöglichkeiten gelingt auch ein Blick über den Tellerrand in andere Länder und deren Wohnstraßenleben. Bei der Ausgestaltung von Aktivitäten kooperiert space and place immer mit lokal ansässigen Initiativen und Vereinen und mit Menschen und Institutionen, denen die Eroberungen von neu zu erschließenden sozialen Räumen Spaß macht. Es stellt die Ergebnisse der eigenen Forschungen auch bei nationalen und internationalen Kongressen und Veranstaltungen vor. Das Projekt wurde von den Medien entdeckt und kommentiert. Wir waren im Fernsehen und Radio zu Gast und unsere Aktivitäten wurden in verschiedenen Print-Medien beschrieben (http://spaceandplace.at/medien/wien-lebt-2018/) Mehrere Bezirksvorstehungen, Schulen und Kreative haben auf unsere Initiative reagiert und uns um Rat gefragt, wie sie Wohnstraßenleben in ihren Bezirken realisieren können. Anwohnerinnen und Anwohner haben Interesse gezeigt, selbst Wohnstraßenleben zu initiieren. Im Jahr 2019 tragen wir das Projekt auch ins Ausland – unter anderem werden wir auf einer interdisziplinären Konferenz in Bordeaux unsere kreativen Forschungen vor- und zur Diskussion stellen.
Eine auf mehrere Jahre angelegte Projektfinanzierung würde es ermöglichen Wohnstraßen in ganz Wien zum Wohnzimmer für alle zu machen – beispielgebend für andere Länder.
Partner
Kollektiv Raumstation: ProjektpartnerInnen
geht-doch.wien : Hanna Schwarz
Privatperson: Juan Carlos Carvajal Bermúdez